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Projekte über mediale und soziale Geschichte im Netz

Über Zeitreisen und die Frage, welche Kräfte aktives Erinnern freisetzen kann

Zur Zukunft gibt es im Grunde nicht viel zu sagen. Die Zukunft kommt, das ist gesichert. Was aber kommen wird, wann und wo und wie, ist – allen Bemühungen zum Trotz - völlig unbekannt. Die Vergangenheit dagegen ist in uns allen präsent. Wahrscheinlich sogar weit mehr und prägender, als viele von uns zunächst glauben mögen. Unser ganzes Tun und Handeln im Jetzt definiert sich aus unserem Gelernten und Erlebten in der Vergangenheit. Was daraus wird, wissen wir nicht. Das wird sich zeigen.

Nimmt man sich also mal etwas Zeit zum aktiven Erinnern, etwa an die eigene Geschichte, sprudeln da urplötzlich ungeahnte Geschichten und Fluten von Bildern und Gefühlen aus uns hervor. Unser Unbewusstes speichert nämlich – ob wir wollen oder nicht - so gut wie alle Geschichten, die uns irgendwann mal emotional berührt oder sonst irgendwie wie in Wallung versetzt hatten. Werden wir dann beim Erinnern durch alte Bilder, Dokumente oder Schriften aus einem Archiv, einem Museum oder einer sozialhistorischen Sammlung, z.B. im Internet, noch unterstützt, steht einer erlebnis- und erkenntnisreichen Zeitreise nicht mehr viel im Wege. Wir sind lernende Wesen. Wir brauchen es nur zu tun.

Der Rumpelblatt-Reload liefert eine solche archivierte Unterstützung für eine Zeitreise ins Allgäu der späten 1970er Jahre. Und zwar aus einer sehr speziellen Perspektive. Viele Leserinnen und Leser haben uns bereits von ihren teils schmerzlichen aber auch von vielen schönen, tollen, wahnwitzigen Erinnerungen berichtet. Vieles kam wieder hoch, manche Verklärung wurde korrigiert, mancher Unmut wurde geheilt, manche alte Verletzung begann zu verschwinden. Auch uns, den MacherInnen dieser Seite, ging es nicht anders.

Zeitreisen von alternativen Zeitungen und Magazinen im Netz

Hier wollen wir euch zwei Medien-Zeitreisen vorstellen, die der Idee des Rumpelblatt-Reloads sehr ähnlich sind. Beide beziehen sich auf Projekte aus den 1970er und 1980er Jahren:

Holzwurm - Zeitschrift für Recklinghausen

Der Holzwurm startete 1976 als kleine Zeitschrift eines Jugend-Info-Treffs in Recklinghausen und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer veritablen alternativen Stadtzeitung. Im Sommer 1988 erschien der letzte HOLZWURM mit der Nummer 131.

Der Holzwurm diente zunächst als Sprachrohr der Jugendlichen in der Auseinandersetzung um ein neues Jugendzentrum in der Altstadt von Recklinghausen. Parallel zu dieser Entwicklung veränderten sich die behandelten Themen. Es war die große Zeit der Bürgerinitiativen, die sich zu Thematiken, wie Frieden, Dritte Welt, Berufsverbote, Umweltschutz und Faschismus bildeten und mit ihren Inhalten das Gesicht des HOLZWURMs für die nächsten Jahre prägten.

2022 stellten nun ehemalige Mitwirkende um Ralf Kropla und Erich Behrendt alle 131 Ausgaben des Holzwurms als PDFs auf einer eigenen Website ins Netz. Alte Bilder und Erinnerungen runden das überaus gelungene Projekt ab. - Fazit: Unbedingt anschauen!

Link: Holzwurm - Zeitschrift für Recklinghausen 1976 - 1988


Stadtmagazin Lueginsland in Augsburg

Das Lueginsland war das erste Augsburger Stadtmagazin. Man startete im Sommer 1977, die letzte wahrscheinlich 1980. Lueginsland war ein kritisches Magazin in Schwarzweiß, das monatlich erschien und das bei Themen wie Kommunalpolitik bis Kultur kein Blatt vor den Mund nahm. Die Berichterstattung war ungewohnt ehrlich und provokativ. Zum Lueginsland-Team gehörten: Arno Loeb, Kurt Idrizovic, Peter F. Fischer, Bernhard Leitenmaier, Josef Sedlmair, Arthur Müller-Doldi, Dominik Oberreis. Auf Blogspot haben Unbekannte (vermutlich die Ehemaligen?) ziemlich viele Ausgaben komplett ins Netz gestellt.

Link: Stadtmagazin Lueginsland 1977-1979



Zeitreisen und soziale Geschichte im Netz

An dieser Stelle wollen wir euch interessante „Projekte zur sozialen Geschichte“ und andere Zeitreise-Möglichkeiten vorstellen:

Papa Thabo und die Rainbow-Wochenschau

Banni (Stefan) Erb, legendärer Comic-Zeichner und Mitglied der alten und neuen Rumpelblatt-Redaktion, leitete jahrzehntelang überaus engagiert das Jugendhaus Rainbow in Immenstadt im Allgäu. Seit fast zwei Jahren digitalisiert er nun schon alte Videos, welche im Rahmen der Videowerkstatt im Rainbow entstanden sind. Auf zwei YouTube-Kanälen stellt er Konzertmitschnitte, Theaterstücke, Ausstellungen, Leute, kuriose Filme, schräge Berichte und knallharte Volksaufklärung von den frühen 1980ern bis in die 2000er Jahre ins Netz. Ein vogelwilder Fundus, für Jung und Alt, die dort verkehrten, aber auch für all jene, die Live so manches verpasst haben.

"PAPA THABO sind lauter eigene Sachen, alt und neu, bunt gemischt", erklärt Stefan Erb sein Konzept auf Rückfrage, "die RAINBOW-WOCHENSCHAU sind Dokus, die im Rainbow entstanden sind und als Vorfilm zu den Kinoabenden mit 16mm Projektor liefen". Zwei weitere Kanäle, RAINBOW-LIVE! und RAINBOW-HISTORIE sind derzeit in Arbeit.

Links: Papa Thabo und Rainbow-Wochenschau


Blatt Stadtmagazin für München

"Das Blatt – Stadtzeitung für München war eine alternative Stattzeitung... Gründer waren Gerd Hortmeyer und Jürgen Ritter. „Blatt“ war die erste alternative Stadtzeitung Westdeutschlands und gilt als der Prototyp aller späteren Stadtmagazine...", schreibt Wikipedia über die Medienlegende Blatt aus München. Das Blatt erschien 14-tägig. Die erste Ausgabe kam 6. Juli 1973 heraus, die letzte, die Nummer 274, am 14. Juni 1984.

Leider gibt es im Netz (noch?) keine zentrale Gedenkstätte für dieses großartige Gesamtkunstwerk. Doch es finden sich einige interessante Links, die zumindest einige Einblicke liefern:

wikipedia.org: Blatt_(Magazin)

Spiegel Geschichte: Die Erfindung des Stadtmagazins
Spiegel Bilderstrecke: Bilder vom Blatt und Einblicke in die Redaktion

sub_bavaria.de: Artikel und Bilder zum Stadtmagazin Blatt



ARD – Retro: Tausende Videos zur Zeitgeschichte

Zum UNESCO Welttag des Audiovisuellen Erbes stellten am 27. Oktober 2020 die ARD-Sender und das Deutsche Rundfunkarchiv tausende zeitgeschichtlich relevante Videos frei zugänglich ins Netz. Im Fokus stehen regionale und aktuelle Fernsehproduktionen aus der Zeit vor 1966. Die Federführung für das gesamte Vorhaben in der ARD liegt beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Inhaltlich hat das Projekt vor allem der Südwestrundfunk (SWR) vorangetrieben. Ganz besonders spannend sind die vielen regionalen Beiträge aus dem Arbeits- und Alltagsleben der Menschen der jeweiligen Landesrundfunkanstalten.

Links: ARD Retro und BR Retro

Hier drei wunderbare Beispiele: Winter in Fischen im Allgäu 1965, Landschaftsbild Balderschwang 1963 und Probelauf AKW Gundremmingen 1965


FHXB Museum, Berlin-Kreuzberg, digitales Archiv

Das FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum konnte in den Jahren 2013 bis 2015 durch die Förderung aus EFRE-Mitteln ein erstes Digitalisierungsprojekt durchführen, in dem fünf verschiedene Sammlungen des Archivs digitalisiert und online gestellt wurden. - Die größte dieser Sammlungen ist die aus der Hausbesetzerzeit in Kreuzberg in den 1970er bis 1990er Jahren, zu der ein großes Konvolut mit Broschüren, Gutachten und Berichten von Architekten und Stadtplanern gehört.

Link: FHXB Museum Digital


Aktives Erinnern ist also eher eine Empfehlung für Leute, die bereit sind für Auseinandersetzung und Konfrontation mit der ganz persönlichen, inneren Wahrheit. Auch Zeitreisen bergen, wie alle erlebnisreichen Abenteuer, ein gewisses mentales Risiko durch eine etwaige Korrektur und Relativierung der gewohnten, lieb gewonnenen Selbstwahrnehmung. Etwas Mut braucht’s also schon!

Aktives Erinnern ist ein Lernprozess, der uns gut tun kann. Dieser Lernprozess schützt uns vor gefährlichem Blödschwätz: Vor vermeintlichen Heilsbotschaften ebenso, wie vor düsteren Untergangsphantasien. Wer die Zukunft von vorgestern erinnert, wird schnell erkennen, dass die prophezeite Zukunft mit der dann geschehenen Zukunft von gestern nicht viel gemein hat. Es kommt eben doch immer ziemlich anders, als man plappert.

Allein für mein kleines, bescheidenes Leben hatte ich mal nachgerechnet: 17 angekündigte Weltuntergänge! Alle überlebt! An all den Schmarren hatte ich mal mehr, mal weniger geglaubt. Weder das, was ich selbst großspurig prophezeit hatte, noch das, was mir von anderen vorhergesagt wurde, ist je tatsächlich so gekommen.

Viel entscheidender für mein Dasein war die Förderung meines kritischen, auch selbstkritischen Geistes. Entscheidend ist und war die Bereitschaft, immer wieder neu, aus der Erfahrung heraus zu lernen, flexibel zu bleiben, umzudisponieren, das eigene Phlegma im Zaum zu halten und dem Eigendünkel zu widerstehen. Entscheidend sind die inneren Impulse im Jetzt, die echten Gefühle, der echte eigene Wille. Entwicklung endet nicht mit der Pubertät. Alles Leben entwickelt sich irgendwie pausenlos und aus sich selbst heraus weiter.

Wie auch immer: Wer tolle Projekte kennt, zur sozialen Geschichte, für mögliche Zeitreisen, etc. darf uns diese gerne mitteilen. Schickt eure Infos bitte an die Rumpelblatt Redaktion.

Christoph Schraivogel

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