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Pressemeldungen und Material für Medienvertreter

Am Samstag, den 29. 01. 2022 erschien im Allgäuer Anzeigeblatt auf der Kulturseite dieser Artikel von Markus Noichl:



Online gibt es den Artikel hier zu lesen: Allgäuer Zeitung

Am Samstag, den 28. 11. 2020 erschien im Allgäuer Anzeigeblatt auf Seite 41 dieser Artikel von Markus Noichl:



Online gibt es den Artikel hier zu lesen: Allgäuer Zeitung



Als Vertreter der Presse und anderer Medien richten Sie Ihre konkreten Fragen bitte an:
Christoph Schraivogel, Telefon: ++49 030 346 242 48, E-Mail



Unsere Presseinformationen im Überblick:

Die freie Jugendzeitschrift „Rumpelblatt“

Beeinflusst von der neuen sozialen Jugendbewegung in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in der alten Bundesrepublik organisierten sich im Raum Sonthofen junge Leute unter dem Namen „Jugendgruppe Rumpelstilzchen“ für mehr kulturelle Freiräume und ein Jugendhaus. Für kulturelle Veranstaltungen (Theaterabende, Konzerte, Flohmärkte ‘) wurde 1976 der „Kultus e.V.“ gegründet.
Ende 1976 entschloss sich die Gruppe eine eigene, mit einfachsten Mitteln gemachte, kleine Zeitschrift herauszugeben. Die erste Nummer dieser freien Jugendzeitschrift erschien im Januar 1977 und nannte sich zunächst ‚Aquarium‘, in Anspielung auf die Architektur des Jugendhauses Sonthofen. Ab Nummer fünf wurde das Medienexperiment immer origineller und schräger und titelte ab dann als ‚Rumpelblatt‘.

Die Kernredaktion traf sich im Jugendhaus Sonthofen, eine Zweigredaktion tagte im Jugendhaus Kempten. Während der dreieinhalb Jahre engagierten sich über 160 junge Leute zwischen 16 und 25 Jahren ehrenamtlich für das Projekt. Insgesamt erschienen 23 Ausgaben plus vier ‚Pikolos‘. Die letzte Ausgabe kam im Juli 1980 in die Kioske.

Die Inhalte des „Rumpeblatts“

Wie in vielen anderen ‚Alternativzeitungen‘ dieser Zeit finden sich auch im Rumpelblatt Beiträge über Schule und Jugendhäuser, Zivildienst, Umweltzerstörung, Atomkraft, Aufrüstung, Emanzipation, Konsum und Kirche. Die Themen Tourismus, Bergweltzerstörung und Heimatkunde kamen aufgrund der besonderen geografischen Lage am südlichsten Rand der Republik hinzu.

Für einige Aufregung sorgte etwa ein anonym veröffentlichter Artikel von Schülern der Realschule Sonthofen über deren ‚am langen Hebel‘ sitzenden Lehrer in Rumpelblatt Nummer 6. Auch der als Aprilscherz gemeinte Artikel von Ferdinand Leopolder über ein angeblich geplantes Atomkraftwerk im nahegelegenen Agathazeller Moos in der gleichen Ausgabe bereitete so manchen Unmut. Für viel Gegenwind verantwortlich waren die regelmäßig erscheinenden lasterhaften Kolumnen des unter Pseudonym schreibenden Wolf Kubolsky.

Überregionale Aufmerksamkeit errang der Bericht in der Nummer 9 über die Aktionen gegen die von der HIAG, der ‚Hilfsgemeinschaft der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS‘, geplanten Veranstaltung im Soldatenheim Sonthofen. Dort sollte am 15. September 1978 der Chefpilot Hitlers Hans Baur einen geschichtlichen Vortrag ‚aus erster Hand‘ halten. Doch aus Furcht vor der geplanten Demonstration wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt.

Wie bei vielen damaligen Alternativmedien waren auch die Illustrationen und Comics ein nicht zu unterschätzendes Kaufargument. So haben insbesondere die witzig-kreativen Visualisierungen von Gerhard ‚Wuschel‘ Rapp und Stefan ‚Banni‘ Erb, viel zum Kultstatus des Blattes beigetragen.

Produktion und Finanzierung des „Rumpeblatts“

Die Druckvorlagen waren noch echte Handarbeit, mit Schere, Kleister und TippEx. Zu Beginn tippten die Texter noch auf mechanischen Schreibmaschinen. Fotos wurden einfach hineingepappt. Vorlagen waren oftmals bis zu 0,5 Zentimeter dick, weil drüber und drüber korrigiert wurde.

Beim Durchblättern wird sich so mancher über die zum Teil völlig schräg und schief und von Hand gemalten Anzeigen von ortsansässigen Geschäftsleuten wundern. Diese Anzeigen waren aber echt. Die Kunden hatten wirklich dafür gezahlt. Damit wurde der Druck finanziert.

Insgesamt trug sich das Projekt finanziell durch sich selbst, durch Verkaufserlöse und Anzeigen. Mit der Zeitschrift hat zwar keiner persönlich etwas verdient, aber von den Beteiligten hat auch niemand Geld investiert. Im Allgäu hatte es ein solches Medienprojekt bis dahin nicht gegeben.

Der Reload und die überregionale Einordnung des Projekts

Viele der Rumpelblatt-Akteure waren schon zu Schulzeiten (noch ganz ohne Handy und Internet!) überregional vernetzt. Sie sind viel selbständig gereist, mit Interrail, per Anhalter oder in Fahrgemeinschaften, auch zu Fuß oder mit dem Rad. Sie waren auf Festivals, Meetings und Demos. Das Rumpelblatt war Mitglied der jungen Presse Bayern e.V. und bei einigen Deutschlandtreffen der Alternativzeitungen dabei. Für die meisten der damals Erwachsenen (Eltern, Lehrer, Vorgesetzte) war dieses Verhalten völlig unbegreiflich, unbekannt und nicht nachvollziehbar.

„Die Konrad-Adenauer-Stiftung stellte 1979/80 unter jungen Mitbürgern ein Protestpotenzial von rund 15 Prozent fest, also 1,3 Millionen 14-bis 21-Jährige, die das gesamte System der Bundesrepublik mehr oder weniger ablehnen", schreibt der bundesweit anerkannte Experte für Jugendkulturen in Deutschland Klaus Farin 2010 auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung in seiner hochgelobten Artikelserie über die 1970er Jahre.

Das Rumpelblatt war ein kleines, für die Beteiligten überaus prägendes und erlebnisreiches Projekt, innerhalb dieser doch recht großen, freigeistigen und ziemlich antiideologischen Protest- und Projektbewegung der späten 1970er Jahre. Auch daran soll der „Rumpelblatt-Reload“ erinnern.

Statements einiger ehemaligen Redakteure zum „Rumpeblatt-Reload“

Klaus Winzek (62), ist heute u.a. als Vorsitzender der GRÜNEN in Sonthofen aktiv: „Ja so… und jetzt sind wir die Alten und die heutigen Jungen lehnen sich auch gegen uns auf. Gerade junge Aktivisten werfen auch uns GRÜNEN vor, dass wir zu langsam in der Umsetzung gesetzter Ziele sind, und durch die Regierungsbeteiligungen zu kompromissbereit und zu wenig systemkritisch geworden seien. Und dann denke ich an unsere Zeit von vor über vierzig Jahren und stelle fest: Damals war ich genauso. Der Konflikt ‚jung gegen alt‘ wird uns wohl bleiben“.

Stefan Erb (64), war 38 Jahre lang Leiter des Jugendhauses „Rainbow“ in Immenstadt und sieht die Lage heute so: „Aus meiner Sicht war das alles eine Möglichkeit sich selbst auszudrücken, vielleicht kann man es auch als uriges Kunstprojekt verstehen. Eigenwillig, schräg und provokativ. Allgäuerisch halt. Das Engagement, das Arbeiten mit den anderen zusammen war das Ziel und auch der Erfolg. Diesen Geist habe ich in all den Jahren versucht an die jungen Besucher des Jugendhauses in Immenstadt so gut es ging weiterzugeben“.

Cordula Schneele (63), heute u.a. im Literaturhaus in Immenstadt engagiert, beschreibt die Sache so: „Der Ton des Rumpelblatts wurde seinem Namen gerecht und war polemisch, provokant frech, aber auch mit viel Witz und Humor, manchmal auch verletzlich und sensibel. Doch es bleibt nun mal ein Vorrecht der Jugend Altes aufzubrechen und an Verkrustetem zu kratzen. „Verstehen wollen“ und auf gar keinen Fall „Einverständnis“ war unser Ziel. Tatsächlich haben wir heftig rum gewirbelt, Fässer aufgemacht, die gedeckelt bleiben sollten, rum gewettert und unsachlich gezündelt. Entspannend waren dann eigentlich nur die Kochrezepte und Ernährungsratschläge“.

Ferdinand Leopolder (62) kommentiert die Inhalte des Blattes so: "Wenn man so die alten Rumpelblätter durchsieht fällt auf, dass damals schon eine Art ‚Gegenöffentlichkeit‘ im Allgäu entstanden war, etwas polternd vielleicht aber aufrichtig und überzeugt“.

Gabi Kaufmann (60) erzählt uns: "Selbstbestimmte und selbstorganisierte Jugendarbeit waren in den 70-ger Jahren schon ein gesellschaftlicher Trend. Es gab freie Jugendzentren und etliche Jugendzeitungen im Selbstverlag. Auch wir wollten uns keiner etablierten Organisation anschließen. Wir wollten selber entscheiden und selber machen. Wir haben dann auch einfach gemacht, hatten eigentlich wenig Ahnung aber keine Angst. Wir waren nicht nur die Redakteur*innen, Journalist*innen und Layouter*innen sondern auch Anzeigenverkäufer*innen und Fundraiser*innen. Insgesamt war es ein phantastisches Lern- und Entwicklungsfeld für uns Beteiligten".

Christoph Schraivogel (62) erinnert sich so: „Im damals als liberal geltenden Gymnasium in Oberstdorf lernten wir Demokratie und Relativitätstheorie, wir lasen Goethes Faust und den Steppenwolf von Hermann Hesse. Im realen Leben hatten wir aber die Klappe zu halten und zu kuschen. Nur selten hörte einem ein Erwachsener überhaupt mal zu! Selbstständig denken, aus dem Gelernten eigene Schlüsse ziehen, Widersprüche aufzeigen: Fehlanzeige! Ja, da war schon auch viel Wut unterwegs. Da mussten wir einfach selbst was tun!“.

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