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Über uns: Das Rumpelblatt, die Zeitschrift fürs Allgäu

Das Rumpelblatt war eine freie, unabhängige, jugendeigene Zeitschrift im Landkreis Oberallgäu mit Sitz in Sonthofen und zweitweise mit Zweigredaktion in Kempten. Diese legendäre aber auch hoch umstrittene Zeitschrift erschien von Januar 1977 bis Juli 1980 in unregelmäßigen Intervallen. Herausgeber des kleinen Blattes, das zu Beginn noch Aquarium hieß, war die "Jugendgruppe Rumpelstilzchen", welche sich seit dem Jahr 1975 für ein selbstverwaltetes Jugendhaus in Sonthofen relativ erfolglos engagiert hatte.

So sieht uns Illustrator Wuschel Rapp heute…
In den Anfängen rekrutierten sich die Redakteure hauptsächlich aus Schülern der Oberstufe des Gertrud von Le Fort Gymnasiums Oberstdorf, dem damals einzigen Gymnasiums im Landkreis Oberallgäu. Später entstand eine bunte Mischung von Leuten fast aller Schulen des Landkreises. Später waren auch Arbeiter, Lehrlinge, Zivildienstleistende und Szene-Aktivisten dabei. Insgesamt haben an der Zeitschrift über 160 junge Leute im Alter zwischen 16 und 25 Jahren mitgewirkt.


Inhaltlich nah an der Graswurzelrevolution

Inhaltlich stand das Rumpelblatt den Ideen der Graswurzelrevolution sehr nahe. Man verstand sich als ein Teil der Alternativszene und als eine der damals sogenannten Alternativzeitungen. Gute Kontakte gab es etwa zum ‚Blatt‘ in München, dem ‚Lueginsland‘ in Augsburg, dem ‚Pflasterstrand‘ und dem ‚ID‘ (Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten) in Frankfurt.

Die Themenschwerpunkte waren nicht nur Schul- und Jugendhausfragen sondern auch Wohnungsnot, Atomkraft - Nein danke!, Umweltschutz, Over-Tourism, Emanzipation, Jugendkultur, Ökologiebewegung, Zivildienst und ähnliches. Das Rumpelblatt war Mitglied bei der Jungen Presse Bayern e.V. und war bundesweit mit der Jungendpresse Deutschland (analog!) vernetzt.


40 Jahre ist es her. 40 Jahre hat es uns mental begleitet.

Seit März 2020 betreiben einige Ehemalige der früheren Redaktion die Website rumpelblatt.de. Inzwischen sind alle Ausgaben mit insgesamt 798 Seiten eingesannt und veröffentlicht worden. Andere Materialien aus der Zeit sollen nach und nach folgen. Begleitend wollen wir uns daran erinnern, welche Auswirkungen und welchen Einfluss dieses Jugendprojekt für uns – und unsere Leser*innen - gehabt hat.

Geplant war eigentlich ein großes Fest zum vierzigjährigen Erscheinen der letzten Ausgabe im Sommer 2020. Wegen der Corona-Krise musste das Fest nun auf irgendwann verschoben und stattdessen die Onlinekommunikation forciert werden.


Eine kleine Zeitschrift unter vielen, eine große Wirkung mit den Vielen

Das Rumpelblatt wurde in kurzer Zeit zum legendären Kultobjekt der jungen Oberallgäuer Szene. Rund um die kleine Zeitschrift entstanden jede Menge Initiativen, das ‚Kreater Brennsuppe‘, der ‚Kultus e.V.‘ oder das Nachfolgeprojekt 'Oberallgäuer Kleinkunstbühne e.V.', Filmprojekte, Kneipen, Bioläden, Cafés oder auch Künstlergruppen wie etwa 'die Experten e.V.‘.

Ende der 1970er Jahre gab es einen regelrechten Boom von alternativen Kleinstzeitschriften. Nicht nur in den Städten sondern überall auf dem Land. Alle wurden mit einfachsten Mitteln im Learning-By-Doing-Prozess selbstfinanziert hergestellt. Alle hatten für die jungen rebellischen Szenen vor Ort eine sehr große ideelle und kommunikative Bedeutung. Das IISG – das Internationale Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam - erforscht auch diese Zeit und diese Bewegung sehr gewissenhaft. Es ist international bekannt und anerkannt. Das Rumpelblatt ist auch aus diesem Grund dort noch immer im Archiv.

Die Redaktion.

3 Kommentare
Stefan Rott ✪ ✪ ✪  vom: 02.12.2021
Vielen Dank für Eure tolle Seite. Ich bin ein Spätgeborener (1979) und habe (einigermaßen unreflektiert und spät bemerkt) von Euch und Eurer Arbeit profitiert. War doch Vieles vom Euch Erstrittenem (oder zumindest Ausgesprochenem) für Uns unhinterfragte Normalität. Großer Unterschied, meiner Meinung nach, war die Tatsache, dass die meisten Eltern meiner Generation in keine aktiven Kriegshandlungen mehr verstrickt waren und der Väter-Söhne (Töchter)- Konflikt in der Häufigkeit klar abnahm (meine Eltern hörten selber Beatles...). Dass die Auswirkungen der gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Allgäu später bemerkbar waren als anderswo, glaube ich schon. Ihr habt aber wohl unmittelbar die Widersprüche in der Gesellschaft erlebt, hattet ein deutliches Feindbild, weil die Grenzen innerhalb der Gesellschaft noch klarer gezogen werden konnten und man sich evtl. auch klarer darüber definiert hat oder gar definieren wollte (?). Dies ist (war) in der Provinz wahrscheinlich immer schon deutlicher. Vieles, was damals Neu, Utopisch, Frech, Asssozial war bzw. vom braven Bürgertum so bewertet wurde, ist heute (unhinterfragter) Mainstream. Man bestellt Bio-Essen bei amazon, kleidet sich wie man möchte, verbreitet seine Meinung im Netz - Problem (oder Vorteil??) - Keiner regt sich darüber auf - man provoziert keinerlei Widerstand, weil alles OK ist.... oder weil es niemanden interessiert...Der "Feind" (CSU, Militär, Kapital, Autoritäten ist, sind auch klüger geworden - lassen sich nicht mehr provozieren, bieten keine Angriffsflächen mehr, machen kluge Öffentlichkeitsarbeit, lullen ein... Der Kapitalismus bietet Annehmlichkeiten, die uns bequem und gleichgültig werden lassen, die uns "Frieden" schließen lassen....Gerechter oder humaner oder sicherer ist die Welt aber nicht geworden - im Gegenteil. Wir merken es nur nicht. Vor allem dann nicht, wenn wir es nicht merken wollen. Vielen Dank für Eure Rumpelblatt-Seite. Ich freue mich ganz arg darüber!!!! Herzliche Grüße aus Krugzell
Mutle ✪ ✪ ✪  vom: 02.12.2020
so, es ist vollbracht. Ich habe jetzt komplette 3 Tage ALLE Ausgaben von Aquarium/Rumpelblatt gelesen. Gelesen, gestaunt, gewundert, gefreut - einfach nur genial, diese Reise in der Zeitkapsel zurück in die späten 70er/frühen 80er. Was habe ich mich schon oft geärgert, dass ich meine alten Rumpelblätter irgendwann verloren, weggegeben, entsorgt habe. Es ist unfassbar, wie präsent das "damals" beim Lesen der online-Ausgaben wieder ist - als ob vieles erst vorgestern gewesen wäre. Verrauchte, lange Abende bei Lotte in der Rebe, vertraute Gesichter (viele davon schon nicht mehr unter uns), Konzerte in der Markthalle, Trampen, Platten kaufen beim Francoise in Kempten, üble Kater, tolle Feten, die Ökos gegen die Discos, legendäre Fußballspiele Die Grünen gegen die Baghwans, Feten im Falkenlager usw.usw. Damals hallt noch immer nach bei mir, obwohl etabliert (?), angepasst (?), ruhiger (?), erwachsener (??) gar alt (???).

Danke Euch allen, das ihr euch diese viele Arbeit gemacht habt, die Dinger "online" zu stellen! Danke, das ihr damals diese Arbeit gemacht habt!! Ganz ehrlich, ich war damals irgendwie zu feige. Gut, man war auf Demos, hat gescheit in der Rebe und der Costa daher geschwätzt, sich mit den Eltern und dem Lehrherrn angelegt, Vieles in Frage gestellt usw., komische Ansichten vertreten, noch komischere Sachen gemacht. Tatsächlich war ich zu feige und sicher auch zu faul, meinen Namen unter einen Artikel zu setzen oder auch einen zu schreiben. Irgendwie wart ihr immer die Chef-Intellektuellen, die keine Hilfe brauchen und die wissen, wo es lang geht. Trotzdem oder gerade deswegen habe ich keine einzige Ausgabe verpasst und die Entwicklung von der harmlosen Jugendheim-Zeitung zum alternativen, hochpolitischen Blättle verfolgt. Herzlichen Dank Euch allen. Auch dafür, dass das Rumpelblatt Teil meiner Entwicklung war. Nicht wenig von damals hallt heute noch in mir nach. Und - man fühlt sich stolz, damals aufgewachsen zu sein, in dieser geilen, rührigen Zeit damals im bunten Allgäu. Danke, Mutle
Jürgen Köster ✪ ✪ ✪  vom: 29.11.2020
Widerstandsgeschichte zu dokumentieren ist so wichtig, denn die Nachfolgenden müssen ja von euch lernen können! Ganz herzlichen Dank an alle, die an der Wiederauferstehung im Internet gearbeit haben.
Wer über das Leben im Oberallgäu schreibt, kann an euch nicht mehr vorbeigehen,
herzlich Jürgen Köster aus Oberstdorf
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