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5151 Kubolsky - COMING HOME

Es fiebt und raschelt. Dip...dip...tsch...ein ganz schmaler heller Streifen. Es flattert ein Schmetterling. Der Streifen wird größer. Hell?! Sind da Stimmen?
Ein Augenlid flattert. Ein zweites macht mit. Dip...dip...tsch.

Zwei Personen, ein Zimmer, ein Fenster, ein Bett...die Augen sehen alles, es ist abgedunkelt. Was ist hier los?
“Hallo, können sie mich hören? Sind sie wach?!!”
“Ja”.
“Ich bin Doktor Borell und das ist Schwester Anita. Großartig, dass sie wieder da sind!”
“War ich weg?”
“Oh ja, und zwar sehr lang.”
Foto unter 5151 Kubolsky Januar 1980
In meinen Ohren rauscht es. Ozeanbrandung. Hochsommer. Hört sich an wie Urlaub.
“Wie lange?”
“Zwei Jahre, 3 Monate und 10 Tage”.
Normalerweise ist meine Urlaubszeit übersichtlich. Zwei Jahre?
“Wo bin ich”?
“Sie sind in Großhadern. Intensivstation. Koma-Patienten.”
“Warum?”
“Sie wurden mit einem Schädelhirntrauma eingeliefert. Man hat sie wohl in Hamburg-Altona gefunden. Beim G7 Gipfel. Schwarze Hose, schwarze Lederjacke, schwarze
Slippers. Waren sie einer von den Molli-Werfern?!”
Schweigen.
“Keine Ahnung.”
“Wir freuen uns auf jeden Fall das sie wieder da sind! In einer Woche – wenn alles gut geht – können sie wieder raus!!”
Es ist kaum zu glauben…..die längste Auszeit meines Lebens.

Tag vier. Ich lebe. Die Schläuche sind jetzt alle weg. Ich kann wieder pissen, essen und ans Fenster gehen. Es ist Frühling. April. Draußen: 22 Crad. 2020.
Ich fass es nicht.
I’m coming home……..yes I sea my baby tonight….yeah I’m coming home….
Leise, ganz leise zupft diese Melodie bei mir an.
….oh yeah I’m coming home ….ohhhh yeah.. And I see yes I see my baby tonight…
Oh ja noch ein Tag und dann bin ich raus. F R E I. Einfach so. Rausgehen und gut.
“Yess …..I’m coming hooome….and I seeee myyy BAABBYY tonight….oh yeah

Checkout. Freitag am 17. April 2020, 12.00 Uhr.
“Sie werden heute entlassen. Geht‘s ihnen gut? Sie sind etwas blass.”
“Alles okay. Mir fehlt nur etwas frische Luft.”
“Haben sie ihre Kleidung wiederbekommen?”
“Ja, alles gut.” Schwarze Hose, schwarze Lederjacke, schwarze Slippers.
“Wunderbar.”
Sie legt mir eine schwarze Gesichtsmaske hin und sagt:
“Die sollten sie draußen tragen, wegen der Corona. Echt wichtig.”
Ich schau auf die Maske, auf meine Klamotten, meine Schuhe. Alles schwarz. Nicht gut!!
“Das hatten wir schon mal. Deshalb war ich gute zwei Jahre hier. Schädelhirntrauma – sie erinnern sich!?” 2
Die Schwester ist irritiert.
“Die sehen jetzt alle so aus… oder halt in weiß… Soll ich ihnen ein Taxi rufen?”
“Nein, geht schon. Hab bloß 20 Minuten nach Hause.”

I”m coming home---- oh.. Yeah… I’m coming home, home…and I see my baby tonight…oh yeah…
Ich bin draußen. Die Sonne trifft mich wie ein Hammer. Ganz ruhig, keine Herzattacke, jetzt nicht.
I’m coming home……ohhh yeahhhh…….
Gneisenau-Allee, Birkenplatz, Körnerstraße, Breslauerstraße – Heimat. Auf zur Nummer 30.
I’m coming home… oh my god…. I’m coming home…oh yeah…. And I see my baby tonight…

Breslauer 15. Anonymer Eingang hinter der Hecke. Cool. Rein.
Zum Lift. Dritter Stock. “I’M C O MI N G H O M E…..OH YEAH…..
Klingeln. Ein Hund bellt.
Martha macht auf. Sie lacht. Sie freut sich. Tränen laufen ihr über die Wangen.
“Halt Abstand. Ich hab Corona!!”
Ich sehe sie an, dann unseren Hund, ich lache, ich werfe meine Tasche in den Hausgang und umarme und küsse sie.
“Ich war schon mal tot. Schlimmer kann‘s nicht werden.”
I’m coming home. Yeah.”
Wir waren dann beide zwei Wochen in Quarantäne. Es geht uns gut.

Und ich freu mich wieder da zu sein. Es tut gut unter Leute zu kommen. Es ist das Leben.
Und Corona schaffen wir auch noch.

Euer treuer
Wolf Kubolsky

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